Energiestandards verteuern das Bauen, Stuttgarter Zeitung, 11.01.23

Steigende Baupreise und Zinsen belasten den Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg. Umfragen lassen für die Branche in den kommenden zwei Jahren Schlimmes befürchten. Experten schlagen Alarm. Derweil benennt Ministerpräsident Winfried Kretschmann Einsparpotenziale.

Stuttgart. Winfried Kretschmann findet klare Worte: „Die Lage ist dramatisch.“ Angesichts steigender Baupreise und höherer Zinsen drohe der Bauwirtschaft eine fundamentale Krise. Die Möglichkeiten, die das Land habe, um einerseits die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu ermöglichen und andererseits den Umwelt­aspekt beim Bauen zu berücksichtigen, seien indes begrenzt, so der Ministerpräsident. Für die meisten Vorgaben sei der Bund zuständig.

Die Tatsache aber, dass einer von insgesamt nur vier Strategieprozessen seiner Regierung sich genau diesem Thema widme, mache deutlich, wie wichtig man das Problem nehme. Schnelle Lösungen werde es aber nicht geben, dämpft Kretschmann hohe Erwartungen an die Politik.

Allerdings gebe es Hinweise, dass man sich bei einigen Bauvorgaben auf dem falschen Weg befinde. Kretschmann: „Die Energiestandards verteuern das Bauen ungemein. Sie beruhen aber wahrscheinlich auf einer Fehlannahme. Für die Ökologie des Bauens brauchen wir nur einen Parameter, das sind die CO2 -Emissionen.“ Für den Bau eines Hauses werde fünf- bis achtmal so viel Energie gebraucht wie für dessen Betrieb. Kretschmann: „Wenn wir nur auf den Energiestandard im Betrieb setzen, dann ist das wohl der falsche Ansatz.“

Dass es in diesem Bereich möglicherweise günstigere Lösungen geben könnte, hört Gerald Lipka, der baden-württembergische Geschäftsführer des Bundesverbands der Freien Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), gern. Denn die BFW-Mitgliedsunternehmen, vor allem Mittelständler, sehen gewaltige Probleme auf sich zukommen. Gerade in Baden-Württemberg mache sich die Entwicklung, dass immer mehr private Häuslebauer einen Rückzieher machen müssten, bemerkbar. Denn der Anteil an privaten Bauherren liegt im Land mit rund 63 Prozent im Bundesvergleich besonders hoch.

Lipka nennt eine drastische Zahl: War die Zahl der Bauanträge bundesweit im ersten Halbjahr 2022 noch um nur 2,1 Prozent zurückgegangen, so sind im dritten Quartal nahezu 47 Prozent weniger Bauanträge eingereicht worden. Lipka: „Wohnungen, die jetzt nicht geplant werden, stehen in den kommenden Jahren nicht zur Verfügung.“ Das habe gewaltige gesellschaftliche Auswirkungen.

Denn viele der bisher Bauwilligen drängten nun auf den Mietwohnungsmarkt und sorgten dort angesichts der ohnehin schwierigen Situation für weiter steigende Preise. Lipka benennt einen weiteren Aspekt: „Werden Projekte erst einmal gestoppt, werden sie in aller Regel nicht wiederbelebt. Es droht dann eine Kettenreaktion für die gesamte Baubranche.“ Schon jetzt dächten zahlreiche Unternehmen über einen Stellenabbau nach. Sollte die Baukonjunktur dann in zwei oder drei Jahren wieder anspringen, fehlten weitere Fachkräfte. Dabei sei deren Mangel schon jetzt eines der größten Probleme der Branche.

Lipka fordert, die Politik müsse mithelfen, die Entwicklung zu stoppen: „Zum einen geht es darum, nicht durch Vorschriften den Endpreis von Immobilien immer weiter in unbezahlbare Höhen zu treiben.“ Zudem seien weitere Förderprogramme, beschleunigte und vereinfachte Genehmigungsverfahren und ein „wirtschaftlicher Realismus auf allen politischen Ebenen“ erforderlich.

Die Aussagen Lipkas gewinnen noch an Gewicht, wenn man die Ergebnisse des aktuellen Wohnungsbaureports der L-Bank für Baden-Württemberg betrachtet. In jedem Quartal ermitteln das Ifo-Institut im Auftrag der L-Bank die Stimmungslage im Bauhauptgewerbe im Land.

Die Ergebnisse des vierten Quartals 2022 liegen nun vor und sind – zumindest in der mittelfristigen Perspektive – alles andere als erfreulich: „Das Geschäftsklima im Wohnungsbau befindet sich auf dem tiefsten Stand seit 13 Jahren“, sagt Edith Weymayr, die Vorsitzende des Vorstands der L-Bank.

Dabei ist die aktuelle Geschäftslage der Unternehmen immer noch vergleichsweise gut: Zwar hat die Bautätigkeit von Oktober bis Dezember weiter abgenommen, und 60 Prozent der Betriebe berichten von Pro­blemen, die sich vor allem aus dem akuten Fachkräftemangel ergeben. Auch ist der Bestand an Bauaufträgen rückläufig. Er bewegt sich aber, so das Fazit der Reports, immer noch auf hohem Niveau. Immerhin 62 Prozent der befragten Unternehmen sprechen von einem ausreichenden Auftragsbestand, 27 Prozent sogar von einem großen. So ist beispielsweise der Hochbau mit 81 Prozent weiterhin gut ausgelastet. Aber auch der Tiefbau liegt mit rund 76 Prozent über dem Durchschnittswert.

Bei der Frage, welche Erwartungen die Unternehmen für das kommende halbe Jahr haben, erreicht der ermittelte Wert aber einen historischen Tiefststand. Der Stimmungseinbruch geht quer durch die gesamte Baubranche. Ein Problem sind die nach wie vor steigenden Baupreise. Das Statistische Landesamt hat ermittelt, dass die Baukosten im vierten Quartal um 14,5 Prozent über dem Vorjahreswert gelegen haben. Damit wurde die Steigerungsrate von 2021 – schon damals lag der Wert bei 9,1 Prozent – noch einmal deutlich übertroffen.

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